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Anlaufstelle, für Männer* und TIN*, die in Kindheit, Jugend oder als Erwachsene sexualisierter Gewalt ausgesetzt waren

© 2015 Tauwetter e.V.

Vater EiszeitDas ist mein Vater an seinem sechzigsten Geburtstag. Nach außen hin ein freundlicher, höflicher Mann, der mit seinen Kindern sonntags wandern ging und manchmal auch spielte. Zuhause war er ein Despot und Tyrann. Ein Vater wie tausend andere auch, normal.

Er hat mich als Junge über Jahre hinweg immer wieder sexuell missbraucht. Er hat dazu Gelegenheiten genutzt, wenn er die alleinige Verfügungsgewalt über mich hatte und niemand eingreifen konnte.

Ich liege im Bett und er kommt "Gute-Nacht-Sagen". Ich kenne die Geräusche der Treppe auswendig, welche Stufe knarrt und welche quietscht. Ich habe längst schon das Licht ausgemacht, in der Hoffnung, er käme dann nicht. Er soll wegbleiben. Ich will nicht. In mir schreit alles "Hau ab!", äußerlich tue ich unauffällig und probiere davonzukommen.

Er kommt durchs Zimmer und setzt sich auf die Bettkante. Ich bin ganz an die Wand gekrochen, habe mich klein zusammengerollt, den Rücken zur Tür, den Kopf tief eingezogen, die Augen fest zugekniffen. Ein Stein. So klein, dass ich fast durch die Ritze hinterm Bett verschwinden kann, unsichtbar. Aber er weiß, dass ich da bin, ich spüre ihn auf der Bettkante, er fasst mich an, ich drehe mich um und seine Hand kommt in meinen Schlafanzug. ...

Hinterher nimmt er meine Unterhose um alles aufzuwischen und fragt mich, ob es mir gefallen hat, und ich grunze irgendwas Undefinierbares.
Zurück bleiben Heulen, Ekel, Angst, Verwirrung, Durcheinander, Orientierungslosigkeit, dieser Geruch, das Gefühl zu ersticken, Würgen, Schmerz, wund sein, allein, ausgeliefert, Hilflosigkeit, totale, allumfassende Ohnmacht.

Er braucht mir nicht zu sagen, mit niemandem darüber zu reden, er braucht mir nicht zu drohen oder so was. Ich habe mich sowieso nicht getraut und mit wem hätte ich auch reden sollen?

Irgendwann verschwinde ich in diesen Situationen, löse ich mich auf. Ich habe mit all dem nichts mehr zu tun, es macht mir nichts und ist alles egal und beliebig. Mein Körper reagiert, aber ich bin weg.

Angefangen hatte es eigentlich viel früher. Ich habe Erinnerungsfetzen, da war ich zweieinhalb Jahre alt, an das Schafzimmer meiner Eltern und an wahnsinnige Schmerzen hinten im Hintern drin, so 10 oder 15 Zentimeter im Darm. Genau diese Schmerzen sind als Erwachsener immer wieder aufgetaucht, wenn ich mit meiner Freundin geschlafen habe. Ich bin dann auf Klo gerannt und habe versucht, das raus zu drücken, was aber nicht funktionierte. Ich weiß nicht, ob ich als kleines Kind anal vergewaltigt worden bin, aber ich vermute es sehr stark.

Später waren es oft kleine Dauerübergriffe, wie ein Desensibilisierungsprogramm. Er hat z.B. uns Kinder jeden Samstag gewaschen. Meine Mutter brachte irgendwann meine Schwestern vor ihm in Sicherheit, indem sie dafür sorgte, dass die schon gebadet hatten, wenn er aus dem Geschäft nach Hause kam. Aber ich blieb ihm überlassen. Er wusch mit Vorliebe und ausgiebig meinen Schwanz, zog die Vorhaut zurück, um auch dahinter alles zu waschen usw. Und beim Abtrocknen setzte sich das Tatschen und Grabbeln fort.

Dann kam diese Situation, in der er mich beiseite nahm, um mich aufzuklären. Allerdings auf seine Art und Weise: Er meinte, er müsse mir jetzt mal zeigen, wie ein Präser funktioniere. Er holte seinen Schwanz raus, rubbelte dran rum, bis er groß wurde, holte dann ein Gummi raus und zog es über. Und irgendwann kam dann dieser Satz: "Du kannst ihn auch ruhig mal anfassen, wenn du willst." Ich wollte nicht, aber er redete solange auf mich ein, bis ich es tat. Ein dickes fleischiges Ding in Gummi. Ich weiß, wie es sich angefühlt hat, aber ich weiß nicht, wie ich mich gefühlt habe. Auch von dem was dann passiert ist, gibt es nur Bruchstücke. Da war Abscheu und ein ganz merkwürdiges Gefühl von geehrt zu werden, dass das alles etwas ganz besonderes wäre. Klar ging es drum, dass ihm einer abgeht, schließlich sollte ich ja sehen, wie das funktioniert. Aber ich weiß z.B. nicht, ob er mich bei dieser Gelegenheit angefasst hat.

Als er dann später regelmäßig zu mir ins Zimmer kam, hatte er mich jedenfalls schon gut präpariert. Da war keine Form von Widerstand zu erwarten.

Er hat meine Sexualität komplett besetzt. Ich hab sogar teilweise onaniert und an ihn gedacht. Diese ganzen Abenteuer der Pubertät, das Ausprobieren, das Rausfinden, ob ich eigentlich auf Typen oder Frauen stehe, gab es bei mir nicht. Auch, als er mich nicht mehr benutzen konnte, hörte der Missbrauch nicht auf. Ich war für Pädos noch Jahre leichte Beute. Ich war einundzwanzig, als ich das erste Mal mit einer Gleichaltrigen geknutscht und geschlafen habe. Und wenn sie nicht die Initiative ergriffen hätte, wäre da gar nichts passiert. Ich glaube, für sie war das ziemlich frustrierend und ätzend, weil ich überhaupt nicht in der Lage war, auf sie einzugehen. Es hat auch nicht lange gedauert, aber sie hat mir - ohne es zu wissen - wahnsinnig geholfen, aus dem Müll raus zu kommen.
Im Laufe der Jahre habe ich gelernt wegzupacken. Eine Zeitlang wusste ich teilweise gar nicht mehr, was genau passiert ist.

Ich bin hart geworden, gegenüber anderen und gegenüber mir selbst. Nach dem Motto: Wenn ich mich zusammenreiße und mir keine Blöße gebe, passiert auch nichts. Bloß nicht wieder dies Gefühl von Ohnmacht.

Ich habe Mechanismen entwickelt, meine Angst auch im Zusammenhang mit Sexualität zu verstecken, auch vor mir selbst: Alles unter Kontrolle behalten, vernünftige Pläne machen, sichere, gute Positionen einnehmen, Stein für Stein feste und solide Gebäude aufbauen, Mauern ziehen. Ich habe gelernt schwankenden Boden zu vermeiden, das Unsichere, Unbekannte, das Neue, das Chaos und die Veränderung.

Und wenn trotzdem mal diese Angst hochkam, dies Gefühl, dass ich nur ein Haufen Scheiße bin und im Grunde gar nichts hinkriege, dann wusste ich inzwischen, wie ich das am schnellsten wieder zu gebaggert kriege: Ackern, saufen, ... es gibt viele Methoden. Und ich hatte schließlich wichtigeres zu tun, als Depressionen zu schieben.

Ich habe weit über ein Jahrzehnt gebraucht, um irgendwann anzufangen, die Verdrängung zu durchbrechen, langsam den Missbrauch zu realisieren und aufzuarbeiten. Es tut immer noch wieder weh und ich weiß oft nicht, wie darin weiter. Ich lege alles oft genug auf die Seite. Aber ich eigne mir Stück für Stück mein eigenes Leben neu an. Und ich weiß, ich schaffe es.


Hannes

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