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Anlaufstelle, für Männer* und TIN*, die in Kindheit, Jugend oder als Erwachsene sexualisierter Gewalt ausgesetzt waren

© 2015 Tauwetter e.V.

Es gibt eine Reihe von Übungen, die wir in der Selbsthilfearbeit für Männer als hilfreich erlebt haben, oder von denen uns andere erzählt haben, dass sie ihnen geholfen haben.

Bei all diesen Übungen darf nicht vergessen werden, dass sie einigen Menschen geholfen haben, anderen aber nicht. Einige denken, wenn eine Übung bei ihnen nicht klappt, dann wären sie selber schuld, würden etwas falsch machen und würden versagen.  Natürlich gibt es die Möglichkeit, dass ich etwas falsch verstanden und ausprobiert habe. Dann gucke oder frage ich nach. Zur Not auch noch ein zweites Mal und wenn sich dann immer noch nichts verändert, dann probiere ich was Anderes. Ich muss mir also ansehen, was es alles gibt, was mir davon sinnvoll erscheint und dann ausprobieren, ob ich damit etwas anfangen kann. Und es ist vollkommen o.k., wenn ich irgendetwas abändere, damit es bei mir besser klappt. Auch wenn einige dieser Übungen inzwischen von Therapeut*innen geprioesen werden, alle sind ursprünglich von Betroffenen selbst entwickelt worden.

Einige dieser Übungen und Hilfsmittel arbeiten mit der Vorstellungskraft. Es sind Auseinandersetzungen, die in der Phantasie stattfinden. Am Anfang erscheint einem das vielleicht als etwas merkwürdig, denn mein Problem ist ja meist ein ganz konkretes, z.B. dass ich Schlafstörungen oder Angst habe. Die Ursachen für das konkrete Problem haben unter Umständen aber nichts mit meiner konkreten Situation zu tun, denn eigentlich ist für einen Erwachsenen nur selten etwas bedrohlich daran, im Bett zu liegen. Bedrohlich war es damals für den Jungen*, dem in einem Bett sexualisierte Gewalt widerfahren ist. Es braucht deshalb unter solchen Umständen eine Übung, um der Bedrohung, die in meiner Vorstellung existiert, zu begegnen.

Die meisten Übungen lassen sich gut alleine machen. Selbsthilfe heißt aber nicht, ich kämpfe mich durch alles alleine durch. Eine der wichtigsten, ungeschriebenen Regeln der Selbsthilfe lautet: Wenn ich Hilfe brauche, hole ich mir Hilfe! Über meine Erfahrungen mit solchen oder anderen Übungen und Hilfsmitteln kann ich mich gut mit Anderen austauschen, sei es in einer Selbsthilfegruppe oder auch anderswo. Vermutlich kennen Andere auch noch andere Möglichkeiten.

Das Aufschreiben

Vielen kennen Momente, in denen sie bestimmte Gefühle, Bilder oder auch Gedanken nicht loslassen können. Das kommt besonders gerne abends beim Einschlafen vor und es betrifft keineswegs nur Sachen, die mit sexualisierter Gewalt zu tun haben.

Aufschreiben kann helfen, Dinge loszulassen und später auf sie zurück zu kommen. Dadurch, dass ich mir die Zeit nehme, belastende Dinge aufzuschreiben, nehme ich sie ernst und bringe sie gleichzeitig wortwörtlich aus mir raus. Sie sind auf Papier und da können sie nicht mehr verloren gehen. Genauso geht das natürlcih mit dem Smartphone. Ich muss die Gedanken also nicht länger im Kopf behalten. Vor dem nächsten Gruppentreffen kann ich das Aufgeschriebene herausholen und mir überlegen, was ich davon heute Abend besprechen will. Nach dem gleichen Prinzip gehen vielbeschäftigte Menschen vor, wenn sie Termine und Aufgaben nicht im Kopf behalten, sondern einen Kalender benutzen.

Oftmals ist tagsüber nicht genügend Zeit, ausführlich zu schreiben. Dann reicht es oft, schnell ein, zwei Stichworte zu notieren und später, wenn ich mehr Zeit habe, darauf zurück zu kommen.

Einige Männer haben sich angewöhnt, wenn sie nachts wach wurden oder abends nicht schlafen konnten, sich an den Tisch zu setzen, ein leeres Buch hervorzuholen und aufzuschreiben, was los ist. Dann wurde das Buch zugeklappt, weggeräumt und wieder ins Bett gegangen. Oftmals hat das geholfen. Unklug ist es aber, ein solches Buch mit solchen Erinnerungen ans Bett, z.B. auf einen Nachttisch zu legen. Besser ist, es außer Sicht - und Reichweite z.B. in einer Schreibtischschublade zu haben, um nicht permanent an die Dinge, die darin stehen, erinnert zu werden. Wenn die Schublade dann auch noch abschließbar ist, ist der Inhalt noch sicherer.

Nicht wenige Betroffene haben sich eine Zeit lang jeden Abend Zeit genommen, den Tag vorbei ziehen zu lassen und wichtige Dinge zu notieren. So wurden sie belastende Bilder oder Gefühle und auch Gedanken los. Es gab aber noch andere Effekte des Schreibens: Sie haben regelmäßig darüber nachgedacht, wie ihr Tag verlaufen ist, was sie getan haben und wie es ihnen gegangen ist. Gefühle, die ihnen sonst gar nicht aufgefallen sind, wurden ihnen so bewusst und sie konnten überlegen, woher diese kommen und was für sie daraus folgt. Bei so einer täglichen regelmäßigen Selbstreflexion empfiehlt es sich aber, sich eine feste zeitliche Grenze zu setzen, damit die Übung nicht ausufert. Ziel ist es immer, am Schluss das Buch oder Heft zuzuklappen und das Aufgeschriebene hinter mir lassen zu können.

Das chronologische Gerüst

Manche plagen sich mit dem Problem herum, dass sie Erinnerungslücken haben. Das betrifft gar nicht einmal immer Situationen, in denen sexualisierte Gewalt geschehen ist, oftmals fehlen einfach größere Zeiträume und es ist mir nicht klar, was da passiert ist. Dann hilft es, so etwas wie ein chronologisches Gerüst aufzubauen:

Ich beginne damit, mir eine grobe Chronologie zu erarbeiten. Dazu dienen mir als erstes Daten, die ich klar weiß oder in Unterlagen recherchieren kann: Geburt, Einschulung, Schulwechsel usw. Wann habe ich wo gelebt? Wer hat da noch gewohnt, ist wann geboren oder gestorben oder verzogen? Ich bastele also so etwas wie ein Gerüst, das weit über die Lücke hinausgeht. Nach und nach sortiere ich immer mehr Informationen ein. Je dichter ich dabei an die Lücke herankomme, desto mehr Details aus der Umgebung versuche ich einzutragen. Wenn ich z.B. nicht weiß, was in einem bestimmten Zimmer geschehen ist, dann konzentriere ich mich auf die Umgebung, den Flur davor, das, was vor dem Fenster lag, ...

Für solch ein Gerüst kann ich auch Personen befragen, die damals Dinge mitbekommen haben. Je nachdem, wie sehr ich ihnen vertraue, so offen frage ich. Wenn es noch Unterlagen, wie z.B. Zeugnisse gibt, kann ich die auch hinzuziehen. Auch ein altes Fotoalbum enthält unter Umständen Hinweise.

Beim Entwickeln solch einer Chronologie geht es nicht nur um negative Erlebnisse, sondern auch um neutrale oder positive. Ziel ist es, ein Gerüst zu schaffen mit möglichst vielen Anknüpfungspunkten, in das ich zukünftige und bestehende bruchstückhafte Erinnerungen einsortieren kann. Dazu versuche ich, die bruchstückhafte Erinnerung ruhig und sachlich zu beschreiben. Es kommt dabei gar nicht mal auf eigene Gefühle an, sondern generell auf Details der Situation: Hat draußen die Sonne geschienen? Was für eine Hose hatte ich an? Wie war die Tapete in diesem Raum? Je mehr Details der Situation ich beschreiben kann und je mehr Anknüpfungspunkte mein Gerüst hat, desto größer sind die Chancen, dass ich das Puzzlestück einsortieren kann. Dabei ist es wichtig, vorsichtig zu sein. Oftmals liegen Schlussfolgerungen nahe. Das ist auch o.k. so, aber ich sollte mir einen Vermerk machen, dass es eine Schlussfolgerung ist. Denn anders, als bei überprüfbaren Daten kann ich mich bei Schlussfolgerungen natürlich auch irren.

Solch ein Gerüst sollte ich schriftlich erarbeiten, es wird sonst schnell zu verwirrend und belastend. Wenn ich so etwas mache kann es hilfrteich sein, ein Notizbuch oder Ähnliches bei mir zu haben, in das ich immer mal schnell einen Gedanken schreiben kann (s.o.) Das trage ich dann hinterher in Ruhe in meine Chronologie ein.

Erfahrungsgemäß führt die Arbeit an einem solchen Gerüst dazu, dass sich Dinge für mich sortieren und dass ich besser eingrenzen kann, was wann geschehen sein kann. Oft kommt es durch die systematische Beschäftigung auch dazu, dass ich beginne mich an mehr Dinge zu erinnern. Gleichzeitig ändert das alleine aber nichts daran, dass ich mich manchmal an Ereignisse solange nicht erinnern kann, wie es zu belastend wäre, sie wieder präsent zu haben. Flankierend zu der Arbeit an solch einem Gerüst ist deshalb hilfreich, dafür zu sorgen, dass es mir heute so gut wie möglich geht. Das kann ich tun indem ich bewusst Dinge mache, von denen ich weiß, dass sie mir gut tun. Manchmal hilft es, sich dafür mit Anderen zu verabreden, es ist z.B. einfacher regelmäßig Sport zu machen, wenn ich mich dazu mit Anderen treffe, als wenn ich mich alleine dazu motivieren muss.

Die Tresor-Übung

Die Tresor-Übung ist eine imaginative Übung, sie arbeitet also mit der Vorstellungskraft. Sie kann eine Hilfe sein, Sachen loszulassen.

Ein Tresor hat zwei Aspekte: Einmal ist das, was darin ist, eingeschlossen, das heißt, es kann nicht heraus. Andererseits ist es aber auch gut aufgehoben und geht nicht verloren. Der erste Aspekt ist wichtig, weil ich ja die Gedanken / Bilder / Gefühle loswerden will, der zweite, weil die Gedanken schon wichtig sind, denn sonst würden sie ja nicht so penetrant da sein.

Der Kern der Übung ist, dass ich mir vorstelle, die belastenden Gefühle, Bilder und Gedanken in einem Tresor zu verschließen, wo sie gut aufgehoben sind. Dazu versuche ich mir diese Gefühle, Bilder oder Gedanken vorzustellen und zu überlegen, welche Form ich ihnen geben kann. Ich vermeide es in die Gedankenspiralen oder die Gefühlskreisläufe einzusteigen, ich gucke sie mir sozusagen von außen genau an. Ich überlege, ob die Gefühle z.B. eher eine große diffuse Masse sind oder eine kleines spitzes Etwas. Ich versuche einzuschätzen, ob Bilder eher Fotos, Videos oder Zeichnungen sind. Haben die Gedanken die Form von Theateraufführungen oder sind sie eher Texte? Je nachdem, was ich habe, verpacke ich z.B. das Ganze in ein Paket oder verkleinere die Theaterbühne auf Puppenhausgröße. Und das kommt dann – immer noch in meiner Phantasie – in einen Tresor. Dabei hilft es, sich den Tresor möglichst genau vorzustellen: Ist es so ein großer, alter, schwarzer mit goldener Schrift? Hat er einen Schlüssel oder eine Zahlenkombination? Hat er so ein großes Handrad oder ist es ein kleiner Möbeltresor, der gut versteckt ist? Ich versuche mit allen Sinnen zu fühlen, was das für ein Tresor ist: Riecht er nach Metall oder innen drin etwas muffig? Ist er kalt wenn ich ihn anfasse? Macht die Tür oder das Schloss Geräusche? Wo steht der Tresor eigentlich? Wie komme ich in meiner Phantasie dahin? Ist es unter Umständen ein Schließfach in einem begehbaren Tresor einer Bank, weit weg auf dem Jupiter, wo nur ich mit einem Raumschiff hinkomme? Es ist eine Phantasie-Übung und alles, was mir passend erscheint, ist erlaubt.

Als letztes nehme ich das Paket oder die Puppenbühne oder was es auch immer ist, lege es in den Tresor und verschließe ihn ordentlich. Dann gehe ich weg und lasse die Bilder, Gefühle oder Gedanken sicher verschlossen und gut aufgehoben im Tresor zurück.

Bevor ich mich das nächste Mal mit dem Thema beschäftigen will, gehe ich an den Tresor und nehme mein Paket heraus, packe die Gedanken, Bilder oder Gefühle aus, und überlege, was ich davon mitnehmen will in die Gruppe und eventuell heute besprechen. Den Rest tue ich in den Tresor zurück, wo er bleibt, bis er an der Reihe ist.

Im Grunde ist die Tresor-Übung also eine Übung mit der ich als erstes aus den Kreisläufen selber aussteige und sie von außen betrachte. Dann weise ich den dahinter stehenden Gedanken einen Platz zu und lasse sie vorübergehend dort ruhen.

Der innere sichere Ort

Auch der innere sichere Ort ist eine imaginative Übung. Manche schließen sie z.B. bei Schlafproblemen an die Tresor-Übung an.

Der innere sichere Ort soll vor allem dazu dienen, in Situationen, wo ich mich nur schlecht fühle und nicht mehr raus komme, wo ich in Angst festhänge oder in Verzweiflung, mich in eine andere Stimmung zu versetzen und mir ein Gefühl von Ruhe und Sicherheit zu geben. Damit habe ich die auslösende Situation noch nicht verändert, aber wenn ich ruhiger bin, fällt mir auf Dauer vielleicht eher etwas ein.

Die Idee ist, sich einen Ort vorzustellen, an dem ich mich rundum wohl und sicher fühle. In Situationen, wo ich mich gut fühle, nehme ich mir die Zeit, in meiner Phantasie an diesen Ort zu gehen, ich lasse mich darauf ein und spüre, wie gut es mir tut, dort zu sein. Zur Verstärkung kann ich das Gefühl und den Ort auch mit einer Geste in meinem Körper verankern. Wenn ich dies ein paar Mal gemacht habe, merke ich, dass ich immer leichter und schneller an den Ort und dem damit verbundenen Gefühl komme. Jetzt kann ich auch an diesen Ort gehen, wenn ich mich schlecht fühle. Dies ist also eine richtige Übung in dem Sinne, dass sie geübt werden muss.

Dazu suche Dir einen ruhigen, ungestörten Platz und beginne die folgende kurze Anleitung durchzuarbeiten. Wenn Du jemand hast, der dies vorliest und dem Du sagen kannst, ob Du erfolgreich bist und wann er weiter lesen kann, so kann das eine Hilfe sein. Diese Person sollte aber nur die Anleitung der Übung übernehmen, sie sollte weder sich berichten lassen, wie der Ort aussieht, noch sollte sie von Dir in den Ort eingebaut werden. Der Ort ist Dein innerer sicherer Ort.

Die folgende beispielhafte Anleitung kann ein Hilfsmittel sein.

Versuche Dich innerlich zurück zu lehnen und Dir in Gedanken, einen Ort vorzustellen, an dem Du Dich rundum wohl und geborgen fühlst.

Vielleicht hast Du erst nur Bilder, vielleicht Gefühle, vielleicht ist es erst auch nur ein gedachter, konstruierter Ort. Wenn schlechte Orte auftauchen, gehst Du einfach weiter.

So ein Ort kann eine Bergwiese sein, eine Oase in der Wüste, ein sicheres Schiff auf dem Meer, ein Raumschiff, eine Höhle, ein Haus ....

Wenn Du keinen solchen Ort findest, fehlt es vielleicht an einem Transportmittel dorthin?

Nimm Dir alle Zeit, die Du benötigst.

Wichtig ist, das ist Dein Ort, Du hast die Kontrolle über ihn. Wenn Du willst, kannst Du andere mit dorthin nehmen, aber der Ort sollte Dein Ort sein und Dein Wohlbefinden nicht von Anderen abhängig sein. Du lädst Andere an Deinen Ort als Gäste ein, d.h. Du kannst sie jederzeit wieder wegschicken.

Wenn Du den Ort gefunden hast, überprüfe, ob er wirklich mit allen Sinnen gut für Dich ist: Was siehst Du, gefällt Dir das? Was riechst Du, ist das angenehm? Was hörst Du, hörst Du das gerne? Was spürst Du auf der Haut, weht ein leichter Wind, wie ist die Luft, wie warm ist es...? Das ist Dein Ort und Du kannst ihn so gestalten, wie Du willst.

Genieße diesen Ort, lass Dich auf das Wohlgefühl richtig ein, nimm es in Dich auf. Wenn Etwas nicht stimmt, verbessere es. Wenn Du feststellst, dass Du zu viele andere Gedanken hast und Dich nicht auf den Ort einlassen kannst, erzwinge nichts. Du kannst jederzeit an den Ort zurückkehren und weiter machen.

Wenn Du an diesem Ort bist, versuche ihn Dir mit allen Sinnen einzuprägen. Sieh ihn, höre ihn, rieche ihn, spüre ihn, schmecke ihn...

Dann schaffe Dir eine Geste, die zu diesem Ort passt und mit dessen Hilfe Du an diesen Ort gehen kannst. Ein Symbol, das sozusagen eine Eintrittskarte ist. Das kann etwas kleines sein, wie eine sich schließende Hand, das kann etwas großes sein, wie sich aufzurichten und die Arme auszubreiten. Es kann eine Bewegung sein, wie das Wiegen eines Kindes, es kann eine kaum merkbare Veränderung sein, wie das Erspüren des Bodens unter den Fußsohlen.

Wenn Du an Deinem Ort bist und das Wohlgefühl hast, dann mach diese Geste und spüre, wie Geste, Gefühl und Ort zusammengehören.

Verharre einen Moment in dieser Geste und an diesem Ort und in diesem Gefühl, dann schau Dich innerlich noch einmal an Deinem Ort um, spüre ihn noch einmal, rieche ihn, höre ihn und komm dann von dem Ort ins hier und jetzt zurück. Dabei lässt Du die Geste los.

Orientiere Dich wieder im Heute, im Hier und Jetzt.

Mach anschließend eine Pause von 2-3 Minuten und fange dann von vorne an. Dabei solltest Du an den gleichen Ort zurückkehren. Wenn Du feststellst, dass irgendetwas nicht stimmig ist, kannst Du das natürlich abändern.

Das Ganze ist ein bisschen eine Übungssache. Es geht darum, eine gute Verbindung zwischen Deiner Vorstellung, Deinem Gefühl und einer bestimmten körperlichen Bewegung, Deiner Geste zu schaffen. Und auch wenn wir keine mechanischen Wesen sind, deren Teile beliebig zusammen geklebt werden können, klappt dies doch bei Vielen. Oft ist es so, wenn Du häufiger an deinen inneren sicheren Ort gegangen bist, in Situationen, wo es Dir nicht schlecht ging, kannst Du später auch dorthin gehen, wenn es Dir schlecht geht. Dann hilft im Idealfall die Geste, Dich daran zu erinnern, wie es sich dort anfühlt, wie es aussieht, riecht, sich anfühlt und anhört.

Alpträume verändern

Einige Betroffene haben immer wieder Alpträume. Das müssen gar nicht Alpträume sein, in denen direkt sexualisierte Gewalt vorkommt, öfter geht es grundlegender um Ohnmachtsgefühle.

In solchen Fällen hilft es manchmal, aufmerksam zu beobachten und eventuell aufzuschreiben, in welchen Situationen ich Alpträume habe. Das kann ich tun, indem ich überlege, was an dem Tag, bevor ich die Alpträume habe geschehen ist. Wenn ich dabei Ereignisse herausfiltern kann, auf die ich mit Alpträumen reagiere, kann ich versuchen, solche Situationen zu vermeiden, oder sie vorm Schlafen gehen soweit zu bearbeiten, dass ich danach ungestört schlafen kann.

Eine weitere Methode bei wiederkehrenden Alpträumen kann sein, herauszufinden, was darin gemeinsam ist. Dann kann ich mir in wachem Zustand überlegen, wie denn der Traum eine Wendung bekommen könnte, so dass ich nicht ohnmächtig und ausgeliefert bin. Ein Beispiel: Ein Mann berichtet, dass er regelmäßig Alpträume hat, in denen er verfolgt wird, wegrennen will, aber nicht wegkommt. Irgendwann fällt ihm ein, dass er in anderen Träumen fliegen konnte. Das war ein tolles Gefühl gewesen, er hat sich frei und absolut sicher gefühlt. An das Gefühl und diese Fähigkeit hat er versucht vor dem Einschlafen möglichst intensiv zu denken. Das hat nicht nur das Einschlafen erleichtert, nach einiger Zeit hat er auch in seinen Alpträumen erinnert, dass er fliegen kann und dadurch konnte er kann die Verfolgungssituation beenden.

Leider funktioniert das so direkt eher weniger. Wahrscheinlicher ist, dass ich erst einmal den Ausweg am Tage öfter durchspielen muss, bis es dazu kommt, dass er nicht nur ein spontaner Ausweg wird, sondern zu einem Bestandteil meines Wissen wird, auf das ich auch im Traum zugreifen kann. Und auch dann ist keineswegs gesagt, dass ich den Ausweg eins zu eins im Traum umsetzen kann. Aber es setzt öfter der Effekt ein, dass die Alpträume weniger werden, oder weniger intensiv sind und sich verändern.

Am erfolgversprechendsten ist die Kombination beider Methoden: Gucken welche Auslöser es gibt, diese entschärfen und parallel dazu nach Auswegen in den Alpträumen zu suchen und diese einzuüben.

Im Hier und Heute bleiben, die 5-4-3-2-1-Methode

Manchmal haben Betroffene Probleme, im hier und heute zu bleiben. Sie fühlen sich von Erinnerungen oder Erinnerungsfragmenten geradezu überrannt. Das können Bilder sein, Gerüche, Geschmäcker, aber auch komplette Szenen, die vor dem inneren Auge ablaufen. Sie haben das Gefühl in einem Film zu sein. Es kann sich auch in reinen Körperreaktionen äußern, ohne dass jemand bewusst bemerkt, dass der Körper gerade auf erinnerte Bedrohungen reagiert. So etwas kann am hellichten Tag geschehen, aber auch in Form von Alpträumen des Nachts.

Um daraus auszusteigen, ist es wichtig, den Kontakt zur Realität wieder herzustellen. Manchmal hilft es Augenkontakt mit jemand zu suchen, manchmal kann ich auch mit einer Person eine Absprache treffen, dass sie mir in solchen Situationen hilft - das berühmte "Kneif mich mal, ich glaub ich träume". Ähnliches kann ich natürlich auch selber machen.

Eine andere Methode ist die 5-4-3-2-1-Methode. Das ist im Grunde der Versuch, mit allen Sinnen bewusst die Umwelt wahrzunehmen. Dabei gehe ich meine gesamten Sinne durch und stelle fest, was ich in der jeweiligen Sinnesmodalität wahrnehme. Das mache ich erst fünf Mal, dann vier Mal, dann drei Mal, usw. Ich kann das Wahrgenommene auch laut aussprechen oder vor mich hinmurmeln. Also ich konzentriere mich zuerst darauf, was ich sehe und zähle fünf Dinge davon auf. Dann kommen 5 Dinge, die ich höre, 5 Dinge, die ich spüre (Körperkontakt), 5 Dinge, die ich rieche. Danach ist wieder das Sehen dran: Vier Dinge, die ich sehe, vier Dinge, die ich höre, vier Dinge, die ich spüre und vier Dinge, die ich rieche. Bei der nächsten Runde geht es um drei Dinge, dann um zwei und zuletzt um eine Sache. Wenn sich nichts verändert hat oder ich nichts Neues finde, kann es auch sein, dass sich Dinge wiederholen: Wenn ich also beim ersten Durchgang u.a. den Stuhl unter meinem Gesäß gespürt habe, kann es sein, dass ich ihn beim zweiten Mal immer noch spüre. Danach kann ich als Abschluss innerlich von 5 bis 1 rückwärts zählen. Manche sprechen zuletzt auch noch einen Satz wie: Ich bin wieder im Hier und Heute. Das hängt davon ab, was für die Einzelnen besser passt.

Diese Methode kann auch gut als Abschluss von imaginativen Übungen wie dem Tresor benutzt werden.

Ähnlich kann auch das bewusste Fühlen in alle Körperteile, wie es bei den Hilfen für die Selbsthilfegruppenarbeit beschrieben ist, benutzt werden.

Aus Filmen aussteigen mittels Bildschirmtechnik

Eine weitere imaginative Übung, um aus Filmen auszusteigen, ist die Bildschirmtechnik.

Oft gibt es auch dann, wenn ich in einen Film rutsche, irgendwo noch einen Teil von mir, der weiß, dass das gerade wie etwas ist, was ich von früher kenne. Dieser Teil hat aber keinen großen Einfluss, denn ich weiß trotzdem nicht, was ich jetzt machen kann. Hier versucht die Bildschirmtechnik anzusetzen:

Ich versuche mir klar zu machen, dass das, was gerade stattfindet ein Film aus meiner Vergangenheit ist, in den ich gerutscht bin. Wenn das aber ein Film ist, dann kann ich damit auch wie mit einem Film umgehen: Ich kann erst einmal gucken, ob er z.B. auf einer Leinwand abläuft, auf einem Bildschirm oder auf einer Bühne. Ich kann überlegen, ob ich eigentlich im richtigen Abstand von dem Film sitze, vielleicht will ich vor meinem inneren Auge, den Bildschirm weiter weg schieben, in eine Ecke stellen, oder als kleinen Monitor unter die Decke hängen? Ich kann feststellen, ob der Film überhaupt gut gedreht ist, wie die SchauspielerInnen agieren... Wenn es ein Film im Fernsehen ist, dann hat er unter Umständen auch eine Werbeunterbrechung. Wo bleibt die eigentlich? Wenn der Film auf einem Computerbildschirm ist, vielleicht will ich dann zwischendurch noch was anderes machen, wie meine Mails abrufen? Wenn es ein Kinofilm ist kann ich auch in die Filmvorführerkabine gehen, und den Film langsam laufen lassen. Bei einem Theaterstück gibt es Pausen, in denen ich rausgehen und etwas trinken kann. All das kann ich machen, weil es mein Film ist, weil ich in meinem eigenen Kino oder Theater sitze. Und genau genommen kann ich den Film auch rückwärts laufen lassen. Ich kann den Videorecorder ausschalten oder die DVD aus dem Computer raus nehmen. Ich kann das Theaterstück abbrechen und den Schauspielerinnen ihren Feierabend gönnen. Unter Umständen will ich dann die Kassette, die DVD oder das Drehbuch wegräumen, ins Regal stellen oder auch in meinen Tresor legen. Ich kann aus der Vorstellung raus gehen. Ich kann mir angucken, wie das Wetter draußen ist, kann die Sonne oder auch den Regen oder den Wind auf meiner Haut spüren, die Luft schmecken und riechen...

Es geht immer darum, dass ich, weil der Film mein eigener Film ist, ihn auch verändern oder beenden kann. Und wenn ich wieder im Heute angekommen bin, lohnt es sich in Ruhe und mit Abstand zu überlegen, auf was ich eigentlich mit diesem Film reagiert habe und warum. Dann kann ich überlegen wie ich mit solchen Situationen in Zukunft umgehen kann.

Wenn die Bildschirmtechnik bei mir gut funktioniert, kann ich sie auch benutzen, um mir aus einem sicheren Abstand Ereignisse aus meiner Geschichte anzugucken, die mich sonst überfluten würden. Wenn ich das tue, ist es sinnvoll, mir zu überlegen, was ich tun kann, falls mir das Ganze doch zu nahe kommt. Es gilt also, vorsichtig und Stück für Stück vorzugehen. Und es kann hilfreich sein mir eine Zeitbegrenzung, anfangs eher kurz, zu überlegen und mittels z.B. eines Weckers abzusichern.

Kontakt mit dem Kind, das ich einmal war

Jeder von uns ist einmal ein kleines Kind gewesen. Anteile von diesem Kind haben die meisten noch in sich. Oftmals ist der Zugang zu den kindlichen Gefühlen aber verschüttet. Die Kontaktaufnahme zu dem kleinen Kind, das ich einmal gewesen bin, ist weniger ein Hilfsmittel für den Notfall, als vielmehr ein Versuch, die verschiedenen Anteile in mir bewusster wahrzunehmen, um sie integrieren zu können. Im Grunde gebe ich dabei Anteilen von mir eine Figur und mit dieser Figur trete ich dann in einen Dialog. Manchmal hilft so ein Kontakt auch in brenzligen Situationen, wenn z.B. das kleine Kind längst weglaufen will, ich als Erwachsener aber denke, bleiben zu müssen. Die Auseinandersetzung mit dem kleinen Kind kann helfen, heraus zu finden, was sind Gefühle, die von früher herrühren und was ist von heute.

Eine Methode für die erste Kontaktaufnahme kann sein, dem kleinen Kind einen Brief zu schreiben. Wichtig ist, sich als heutiger Erwachsener zu verhalten. Es geht bei der gesamten Kontaktaufnahme zum kleinen Kind nicht darum, wieder ein Kind zu werden.

Ich überlege mir z.B., welche Fähigkeiten und Möglichkeiten habe ich heute, was kann ich gut, was kann ich schlecht. Was braucht das Kind wohl, was kann ich ihm anbieten? Sucht es einen Freund, möchte es nicht mehr alleine sein, sucht es einen Erwachsenen, dem es erzählen kann, was passiert ist? Sucht es einen Beschützer? Ich kann dann dem Kind einen Brief schreiben und ihm meine Unterstützung als heutiger Erwachsener anbieten. Wichtig ist zu versuchen, sich selber als Erwachsener nicht zu überfordern, keine unrealistischen Versprechungen zu machen und mich damit unter Druck zu setzen. Manchmal ist es sinnvoller, zu überlegen, wie jemand anderes dem Kind das geben kann, was es braucht, als alles selber zu machen. Aber auch wenn es sich oft anders anfühlt: Als Erwachsener kann ich eine ganze Menge von dem, was das kleine Kind braucht.

Manchen fällt es schwer, sich selber als Kind vorzustellen, unter Umständen, weil ich an meine Kindheit gar keine Erinnerungen habe. Dann geht es auch, sich ein anderes Kind mit solch einer Geschichte vorzustellen, und zu überlegen, was es wohl braucht. Auch wenn dann keine direkte Kontaktaufnahme mit dem Kind, das ich früher war, möglich ist, kann ich ihm doch etwas Gutes tun. Manche erschrecken z.B., wenn Sie feststellen, dass das Kind eigentlich ein paar richtige Eltern braucht, die es so nie gehabt hat. Sie denken, das können sie nie sein. Das ist Okay. Es geht nicht darum, alles ungeschehen zu machen, sondern zu lernen, was der kindliche Teil von mir für Bedürfnisse hat, diese im Alltag heute häufiger wahrzunehmen und zu überlegen, wo ich als  Erwachsene*r diesen Bedürfnissen heute Raum geben kann. Manchmal sind es "Kleinigkeiten", die große Wirkung haben, wie z.B. jeden Morgen vor der Arbeit in den Park gehen, um die Enten zu füttern.

Die inneren Helfer

Jeder Mensch hat verschiedene Seiten. Es gibt Momente, da bin ich mutig, (oder ist es etwa kein Mut, wenn ich mich mit meiner Geschichte auf den Weg mache und Hilfe suche?). Es gibt Momente, da bin ich vorsichtig und sehr genau, manchmal bin ich sehr sachlich und überlege nüchtern, dann reagiere ich wieder auf feinste Stimmungen. Es geht darum, diese verschiedenen Aspekte meiner Selbst wahrzunehmen und sie mir als Personen vorzustellen. Da können übrigens auch Personen drunter sein, die es nur selten schaffen, sich durchzusetzen und mein Handeln zu bestimmen. Es können Personen von Früher sein, z.B. ein Jugendlicher*, der es geschafft hat, den Führerschein zu machen und der ziemlich gut lernen konnte, und es können Personen sein, die es heute noch gar nicht gibt, wie eine erfahrene, weise Person, die ich vielleicht einmal sein werde. Wichtig ist, dass es Personen sind, die Fähigkeiten haben. Es kann hilfreich sein, diese ganzen Personen aufzuschreiben und ihnen evtl. sogar Namen zu geben.

Diese Personen sind meine inneren Helfer. Wenn ich mich in einer schwierigen Situation befinde, kann ich sie der Reihe nach fragen, was sie denn machen würden. Das kann so ablaufen, dass ich systematisch die Liste der Personen abarbeite, aber auch, dass ich mir einen Konferenztisch vorstelle, an dem alle sitzen und ihre Meinung sagen. Vielleicht ergibt sich ja auch eine Diskussion unter ihnen.

Andere Übungen z.B. zur Erdung oder zur Entspannung

Es gibt heute viele Übungen, die meine Achtsamkeit verbessern helfen, oder dazu beitragen können, mich zu erden, oder mir helfen, zu entspannen. Viele davon können hilfreich sein und es gibt zum Glück viele Möglichkeiten, sie kennen zu lernen. Das kann in einem Kurs an einer Volkshochschule oder Nachbarschaftszentrum sein, das kann über Anleitungen im Internet geschehen, aber auch über Bücher. Auch in einer Selbsthilfegruppe kann ich nach Hinweisen oder Empfehlungen fragen. Wichtig ist immer, die richtige Balance zu finden, zwischen sich auf etwas Neues einlassen und vorsichtig sein. Leider gibt es in diesem Bereich einen boomenden Markt, wo einige versuchen nicht nur bequem Geld zu verdienen, sondern auch andere Menschen in Abhängigkeit zu halten. Und oftmals haben Anleiter*innen keine oder nur wenig Ahnung vom Umgang mit Betroffenen. Das gilt natürlich grundsätzlich für den gesamten Psychomarkt. Wenn ich also vermeiden will, dass ich erneut zum Opfer werde, ist es hilfreich vorher Erkundigungen über die Methode und die Anbieter einzuholen. Einige Methoden, wie z.B. Familienaufstellungen nach Hellinger sind nur selten brauchbar, um sexualisierte Gewalt zu bearbeiten, meist sind sie eher eine Gefahr. Ähnlich ist das mit selbsternannten Fachleuten, die mir einreden wollen, sie wüssten was mir mir passiert ist.

Bei anderen Ansätzen z.B. bei Entspannungsübungen gilt es vorsichtig auszuprobieren: Es hat sich herausgestellt, dass es für manche Betroffene extrem bedrohlich ist, die gewohnte Wachsamkeit zu unterlassen, locker lassen funktioniert nicht, sondern wird als Gefahr erlebt. Hier kann es sinnvoll sein, zu Methoden wie der progressiven Muskelentspannung zu greifen, die eine entspannende Wirkung haben können, ohne dass ich weniger wachsam sein muss.

Solange ich immer wieder prüfe, ob mir etwas gut tut und mich immer wieder frage, wie es mir geht, solange ich nichts mache, was mir nicht gut tut und mich gewaltsam über meine eigenen Grenzen hinwegsetze, solange bin ich eigentlich auf der sicheren Seite. Das gilt übrigens für alle Versuche, Methoden und Übungen in der Bearbeitung: Was zählt, ist, dass es mir besser geht und nichts anderes. Und im Zweifelsfall rede ich mit anderen über deren Erfahrungen, sei es in der Selbsthilfegruppe oder mit guten Freunden oder spreche in der Beratung darüber. Wir kennen sicherlich nur einen Ausschnitt von dem, was es alles gibt, aber wir können dich dabei unterstützen heraus zu finden, ob Dir etwas gut tut.

Alles Gute

Letzter Eintrag 25.01.2024

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