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Anlaufstelle, für Männer* und TIN*, die in Kindheit, Jugend oder als Erwachsene sexualisierter Gewalt ausgesetzt waren

© 2015 Tauwetter e.V.

Ich war sexualisierter Gewalt ausgesetzt, muss ich jetzt eine Therapie machen?

Nein, es gibt keinen Zwang eine Therapie zu machen:

  1. Gibt es viele Menschen, die es ohne bewußte Bearbeitungsprozesse nach sexualisierter Gewalt ein zufriedenstellendes Leben zu leben.
  2. Auch wenn ich vorhabe, die mir widerfahrene sexualisierte Gewalt zu bearbeiten gibt es Alternativen zu einer Therapie, die nicht nur ein billiger Ersatz sind, sondern eigenständige Bearbeitungsformen mit Vor- und Nachteilen.
  3. Es gibt gute Gründe, keine Therapie zu machen. Das kann von individuellen Gründen (z.B. ich will mich nicht in ein Abhängigkeitsverhältniss begeben, was ähnlich ist, wie bei der sexualisierten Gewalt), über strukturelle Gründe (z.B. ich will dieses einseitige, hiererchische Verhältnis nicht) bis zu finanziellen Gründen (z.B. wenn ich eine Therapie über die Krankenkasse abrechne, habe ich eventuell Schwierigkeiten hinterher bestimmte Versicherungen abzuschließen, weil ich als psychisch gestört diagnostiziert wurde) reichen.

Die Abhängigkeit

Viele haben sexualisierte Gewalt erlebt, bei der ein Abhängigkeitsverhältnis ausgenutzt wurde. Wenn ich mich jetzt in eine Therapie begebe, kann schnell eine psychische Abhängigkeit entstehen vor allem, wenn ich keine anderen Personen habe (ein Umfeld, andere Betroffene, eine Selbsthilfegruppe), mit denen ich immer wieder kritisch reflektieren kann, was in der Therapie geschieht. Wenn ich nach außen verstecke (verstecken muss), dass mir sexualisierte Gewalt widerfahren ist oder dass ich Therapie mache, gibt es zudem einen ähnlichen Geheimhaltungsdruck, wie oftmals mit der sexualisierten Gewalt verbunden. Je mehr Menschen ich habe, mit denen ich offen sprechen kann und die mich in Krisen unterstützen, um so besser. Therapeut*innen sollten um diese Gefahr wissen, sie von sich aus thematisieren und wenn ich es anspreche nicht abblocken.

Die Hierarchie

Therapie ist aufgrund ihrer Struktur ein hierarchisches Verhältnis. Die eine Person ist in einer hilfsbedürftigen Situation, die andere nicht. Gute Therapeuten und Therapeutinnen wissen um dieses Gefälle. Einige ignorieren diese Hierarchie und tun so, als würde sie keine Rolle spielen, andere gehen offener damit um und sprechen z.B. mit mir ab, was sie an die Krankenkasse in ihrer Diagnose und ihren Berichten schreiben. Je klarer und kritischer ich selber bin, und je mehr ich mich traue nachzufragen, desto mehr kann ich trotz aller Schwierigkeiten eine Therapie produktiv für mich nutzen.

Ein weiterer Faktor der hierarchieverstärkend sein kann, ist die Tatsache, dass alle therapeutischen Schulen der Ansicht sind, Therapeut(*innen) sollten nicht offen legen, wenn sie selber Betroffene sind. Nur wenige Therapeut(*innen) handhaben das anders. Real läuft das darauf hinaus, dass ich einem Menschen vertrauen soll, der mir nicht einmal die geringste Kleinigkeit von sich zeigt.

Die finanzielle Seite

Nur wenigen ist bekannt, dass eine Psychotherapie weitreichende finanzielle Konseqenzen haben kann. Dies ist immer dann der Fall, wenn sie über die Krankenkasse finanziert wird. Damit die Krankenkasse die Kosten übernimmt, muss der*die Therapeut*in eine Diagnose erstellen. Das bedeutet dass festgehalten wird, dass ich eine psychische Störung entsprechend den internationalen Klassifikationsschemen habe. Störung ist das moderne Wort für Kankheit. Falls ich später bestimmte Versicherungen wie z.B. Lebensversicherungen aber auch einige Unfallversicherungen abschließen will, muss ich angeben, ob sich Vorerkrankungen habe. Dazu zählen auch psychische Störungen. Wenn ich jetzt schreibe, was diagnosdtiziert wurde, bekomme ich oft die Versicherung nicht. Wenn ich es verschweige und es kommt raus, erlischt der Versicherungsschutz. Es wäre also sinnvoll, rechtzeitig  vor Therapiebeginn entsprechende Versicherungen abzuschließen oder die Therapie privat zu bezahlen  - aber wer kann das schon.

Es empfiehlt sich deshalb, vorher zu überlegen, welche Diagnose ich am ehesten verkraften könnte und ggf. mal im Internet nachzulesen, welche Symptome zu welchem Krankheitsbild gehören. Am besten wäre aber, es wäre möglich mit dem*der Therapeut*in abzusprechen, welche Diagnose aufgeschrieben wird.

Die "therapeutische Beziehung"

Ob eine Therapie erfolgreich ist, hängt weniger vom Verfahren, als von der „therapeutischen Beziehung", d.h. vom Verhältnis zwischen dem Therapeuten bzw. der Therapeutin und mir ab. Je mehr meine Meinung und Einschätzung in der Therapie zählt, je mehr ich angenommen werde, wie ich bin - und nicht in Schubladen gepresst werde und mich anpassen muss -, je weniger mein Gegenüber eigene Unsicherheiten hinter der Maske der Professionalität versteckt und je mehr er oder sie sich auf mich einlässt, desto größer sind die Chancen auf eine gute „therapeutische Beziehung". Je besser ich artikuliere, was ich will, je offener ich in Kontakt gehe, je genauer ich auf meine Grenzen achte und darauf was mir gut tut, desto mehr Chancen auf eine erfolgreiche Therapie habe ich. Aber wie bei den Selbsthilfegruppen gilt auch hier: Wenn ich das alles schon könnte, würde ich nicht über Therapie nachdenken. Es kommt also auf das richtige Maß an.

Therapeutische Angebote

Therapeutische Angebote lassen sich unterteilen in Einzeltherapie und gruppentherapeutische Angebote.

  • Therapeutische Gruppen:
    Im Regelfall gibt es keine ambulanten therapeutischen Gruppen speziell für Männer* oder gar für TIN*, die in Kindheit oder Jugend sexualisierter Gewalt ausgesetzt waren. D.h. ich befinde mich meist a) in einer gemischten Gruppe und b) fast immer in einer Gruppe von Menschen mit ganz unterschiedlichen Problemen.
    In Kliniken ist es schon wahrscheinlicher thematisch eingegrenzte Gruppen zu finden, aber Gruppen nur für Männer* oder TIN* und zum Thema sexualisierte Gewalt gibt es extrem selten.
    Im ambulanten Bereich werden Gruppen oft von Therapeut*innen angeboten, die auch Einzeltherapie anbieten. Leider versuchen diese teilweise, diejenigen, die Einzeltherapie machen, auch in die Gruppen zu manövrieren und bezeichnen es gerade als Vorteil, dass dort doch auch Menschen mit anderen Problemen sitzen. Ob das für mich wirklich weiterführend ist, sollte ich aber immer selbst entscheiden.
    Gruppentherapie muss fast immer privat bezahlt werden.
    Bei therapeutischen Gruppen ist es wichtig auf die Qualifikation der Anleitenden zu achten und auch ruhig nach einem Konzept zu fragen.
  • Einzeltherapie
    Einzeltherapie ist die am weitesten verbreitete Form der Therapie. Bestimmte Formen sind von den gesetzlichen Krankenkassen anerkannt und werden im Bedarfsfall von diesen finanziert.
    Von der Krankenkasse als Verfahren anerkannt sind drei Therapieformen: Psychoanalyse, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und Verhaltenstherapie. Angeblich sollen die drei unterschiedlich gut für unterschiedliche Probleme sein, in Wirklichkeit sind aber oft andere Dinge wichtiger, als das Verfahren. Dennoch kurz zu den Unterschieden:
    • Psychoanalyse
      Psychoanalyse (oder analytische Psychotherapie) ist das, was mal von Sigmund Freud erfunden wurde. Und auch wenn es heute viele Psychoanalytiker*innen gibt, die nicht mit Freuds Leugnung der sexualisierten Gewalt übereinstimmen, ist sein Entwicklungsmodell nach wie vor bestimmend. Demnach durchläuft das Kind verschiedene Phasen, wie die orale, die anale oder die ödipale. Dabei kommt es immer wieder zu Konflikten zwischen den eigentlichen (teilweise nicht bewussten) Wünschen des Kindes und den moralischen Normen der Gesellschaft. Z.B. möchten Kinder nach Freud in der ödipalen Phase Sex mit dem gegengeschlechtlichen Elternteil haben, was aber nicht zulässig ist. Diese inneren Konflikte werden bei Freud Trauma genannt. (Vorsicht! Das ist ein anderer Traumabegriff als in der modernen Psychotraumatologie, bei der es um Ohnmachtserfahrungen aufgrund real erlebter Ereignisse geht). Die Psychoanalyse geht davon aus, dass z.B. die mit einem inneren Trauma in ihrem Sinne verbundenen Gefühle ins Unbewusste verdrängt werden und so die Entwicklung blockieren und deshalb bewusst gemacht gemacht werden müssen. Eine Psychoanalyse beinhaltet oft mehrere Sitzungen pro Woche, es werden 160 bis 240 Stunden bewilligt. Die Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft informiert auf ihrer Website www.dpg-psa.de über Psychoanalyse aus ihrer Sicht.
    • Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
      Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie geht wie die Psychoanalyse davon aus, dass innere Konflikte die Ursache bestehender Probleme sind. Sie ist aber stärker auf einen zentralen Konflikt konzentriert. Auch wenn die Tiefenpsychologische Therapie gelegentlich als eine „Psychoanalyse light" betrachtet wird, lässt sich doch feststellen, dass die Tiefenpsycholog*innen oft weniger eng an der Lehre Freuds orientiert sind, als Psychoanalytiker*innen. In der tiefenpsychologischen Psychotherapie soll der*die Klient*in mit Hilfe des*der Therapeut*in verstehen, welche Ursachen in der Vergangenheit seine aktuellen Probleme haben. Diese Erkenntnis soll dazu beitragen das Empfinden heute und dann auch das Verhalten zu verändern. Tiefenpsychologische Therapie wird von 50 bis 80 Stunden von den Krankenkassen bewilligt. Die Homepage der Deutschen Fachgesellschaft für Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie www.dft-online.de gibt Informationen über den Verband und die Therapieform.
    • Verhaltenstherapie
      Verhaltenstherapie basiert von ihren Wurzeln her auf dem Behaviorismus. Dies war eine psychologischen Richtung, die davon ausging, dass über das, was im Menschen vorgeht, sowieso nichts Genaues gesagt werden könne und die sich deshalb darauf konzentrierte, zu beobachten auf welchen Reiz hin welche Reaktion auftaucht. In Tierexperimenten wurde dann versucht herauszufinden, ob Füttern als Belohnung für richtiges Verhalten besser funktioniert, als Stromstösse für falsches Verhalten. Zudem wurden Modelle über das Lernen entwickelt, die auf den Menschen übertragen wurden. Später trauten sich die Vertreter dieser Richtung dann doch noch Aussagen über die Vorgänge im Menschen zu. Diese beschränken sich aber größtenteils auf Vermutungen darüber, wie das Wissen im Gehirn in neuronalen Netzen angeordnet sein könnte. Die Verhaltenstherapie geht davon aus, dass schädliches Verhalten erlernt ist, sich in falschen Vorstellungen festgesetzt hat und jetzt umgelernt werden muss. Da die Ursachen keine große Rolle spielen und die Verhaltenstherapie auf das Umlernen setzt, benötigt sie auch nicht so viel Stunden. Von den Krankenkassen werden daher zwischen 45 und 60 Stunden finanziert. Zur Verhaltenstherapie gehören u.a. Techniken wie Flooding, d.h. Menschen werden den auslösenden Reizen so lange ausgesetzt (überflutet), bis sie sich an sie gewöhnt haben und desensibilisiert sind, aber auch viele andere Techniken. Die Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie hat die Website www.dgvt.de.
    • Traumatherapie
      Als eine neue Therapie wird in den letzten 20 Jahren die Traumatherapie diskutiert. Es gibt in allen drei Kassenverfahren inzwischen traumatherapeutische Modelle. Diese sehen teilweise sehr unterschiedlich aus und sind für verschiedene Menschen unterschiedlich hilfreich.
      Die kognitiv-behavioralen Kurzzeittherapien - eine Form der Verhaltenstherapie - sind z.B. für die Bearbeitung früherer sexualisierter Gewalt in der Kindheit nur begrenzt geeignet. Hier braucht es oft mehr Zeit.
      Methoden wie EMDR, eine Technik bei der durch geleitete Augenbewegungen die emotionale Belastung reduziert werden soll, haben Erfolgsquoten von 50% und zählen damit zu den effektivsten. Das bedeutet aber auch, dass in der Hälfte der Fälle der gewünschte Effekt nicht eingetreten ist.
      Generell lässt sich feststellen, dass auf die Traumatherapie Hoffnungen projiziert werden, die diese oftmals nicht erfüllen kann. Tendenziell wirkt Traumatherapie offensichtlich dann am besten, wenn wirklich und ausschließlich eine Posttraumatische Belastungsstörung vorliegt und diese durch ein einmaliges Ereignis ohne längere Beziehungen ausgelöst wurde. Sexualisierte Gewalt führt aber nur in einer Minderheit der Fälle zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung (andere Diagnosen überwiegen und oft treten mehrere zusammen auf). Außerdem handelt es sich oftmals nicht um ein einmaliges Ereignis sondern um langanhaltende Gewalt in einem Beziehungsverhältnis.
      Die Traumtolog_innen in Deutschland sind in der Deutschprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie www.degpt.de organisiert.

 Die Therapiesuche

Wenn ihr bis hierher euch durchgelesen habt, und entschlossen seid, eine Therapie zu machen, dann müsst ihr immer noch eine*n passende*n Therapeut*in finden. Dabei ist das eine, Adressen zu finden (dazu unten mehr). Das zweite ist zu prüfen, ob der*die Therepeut*in euren Vorstellungen entspricht. Dabei spielt das Vorgespräch eine zentrale Rolle und ihr solltet es gut vorbereiten und nachbereiten.

Datenbanken mit Therpeut_innen

Informationen über Psychotherapie finden sich auch auf der Seite des Psychotherapie-Informations-Dienstes  www.psychotherapiesuche.de des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen. Dort befindet sich auch eine Datenbank mit Therapeut*innen. Traumatherapeut_innen lassen sich über das EMDR-Ausbildungsinstitut www.emdria.de finden. Eine weitere Datenbank mit Psychotraumatolog*innen findet sich auf der Seite der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie.

Letzter Eintrag: 25.01.2024

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